Mord und Totschlag

Seit dem 5. April 2013 sendet das Bayerische Fernsehen Kriminalgeschichten auf der Grundlage von wahren (versuchten) Mordfällen. Mit Hilfe von Josef Wilfling, ehemaliger Mordermittler im Polizeipräsidium München, wurden in der ersten Folge drei Fälle nachgestellt und dazwischen von ihm kommentiert und zum Teil weiter ausgeführt. Der Kriminalist ist ein sachkundiger Experte für Mord und Totschlag. Dies hat er mit seinen Büchern „Abgründe“ und „Unheil“ eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Abgründe – Wenn aus Menschen Mörder werden

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Den Anfang zum Erstling bildet die Erinnerung an einen Kindermord und eine Art Anklage an die politischen Entscheidungsträger – ein sehr beeindruckendes Statement. In seinem Vorwort geht Josef Wilfling unter anderem auf den § 211 des Strafgesetzbuchs – Mord – ein und stellt einen Bezug zu den sieben Todsünden aus der Bibel her; dem Leser begegnen viele dieser Verfehlungen in den folgenden Kapiteln.

Im Lauf seiner mehr als 20 Arbeitsjahre ereigneten sich rund 1.000 versuchte und vollendete Tötungsdelikte, involviert war der Mordermittler in ca. 100 davon. Diese werden in Kapiteln wie „Heimtücke“, „Mordlust“, „Wollust“ oder „Gemeingefährlich“ erzählt. Aber hierin geht es nicht einfach nur um die jeweiligen Taten, sondern um die Sichtweise eines Mannes, der jeden Tag mit dem (plötzlich) auftretenden Bösen im Mensch rechnen musste und der nach meinem Ermessen sehr viel psychologisches Feingefühl besitzt.

In den verschiedenen Fällen berichtet er von der kriminalistischen und persönlichen Sichtweise eines Ermittlers in Bezug auf die Untersuchung der Wohnung einer Getöteten oder darüber, dass die Aufklärung einer Tat mittels Durchleuchtung des Lebens der Opfer von „innen nach außen“ stattfindet, was übertöten bedeutet oder welche Hilfe Hunde bei der Suche nach Vermissten sein können, wie manchmal langsam die Wahrheit ans Tageslicht kommt und welche Arbeiten bis zur Gerichtsverhandlung nötig sind, selbst wenn der Täter gestanden hat. Immer wieder musste Wilfling die professionelle Distanz zum Täter wahren (zum Beispiel während der Verhöre), durfte sich nicht von Emotionen leiten lassen, hat aber auch immer darauf geachtet, dass gegenseitige Achtung und Vertrauen zwischen Fragesteller und Verdächtigem entstanden – zum großen Teil auch einfach nur um den möglichen Täter aus seinem Schweigen herauszuführen.

Interessant sind aber auch die Abschnitte mit den Überschriften „Töten Frauen anders als Männer?“ und „Leichenzerstückelung“. Hier wird anhand von Beispielen unter anderem erklärt, dass nach seiner persönlichen und bundesweiten Statistik 15 % aller Täter Frauen waren. Diese töten oft mit Gift, „weil es nicht dem weiblichen Naturell entspricht, anderen Menschen körperliche Gewalt anzutun“, allerdings neigt das weibliche Geschlecht bei Kindsmord bzw. tödlicher Kindsmisshandlung eher dazu. Außerdem werden dem Leser Fakten nahe gebracht: Auch wenn keine Leichenteile auffindbar sind, kann eine Verurteilung stattfinden.

Unheil – Warum jeder zum Mörder werden kann

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Die Einführung zum zweiten Buch von Josef Wilfling beschäftigt sich mit seiner These, dass jeder Mensch zum Mörder werden kann. Aufgrund dessen ist es auch so wichtig, dass der Polizist in die Gedanken und auch Seelen der Verdächtigen eindringen kann.

Der Hauptteil des zweiten Bandes ist unterteilt in mehrere kurze Berichte (jeweils zwischen drei und neun Seiten), die die eingangs genannte These untermauern. Hier findet man dann unter anderem den „Baggerführer“, „Die Geliebte“ oder auch den „Gigolo“. Dies sind allerdings eher schmückende Beiwerke zu den ausführlicheren Episoden, die überschrieben sind mit zum Beispiel „Der Todesengel“, „Das Miststück“ oder auch „Das Inzestopfer“. Allen gleich ist aber der Inhalt, dass der Autor den Leser an seinen persönlichen Gedanken, Abwägungen und Entscheidungen teilhaben lässt.

Doch auch in diesem Buch wird Grundsätzliches erörtert. Unter dem Titel „Kann wirklich jeder Mensch zum Mörder werden?“ erfährt man, dass auch der Mann, die Frau von nebenan plötzlich zum Mörder, zur Mörderin werden kann, und dass viele Fälle genau da stattfinden, wo wir uns doch so sicher wägen: zu Hause! In diesem Bezug möchte ich auch auf meine Dokumentation der Lesung des ehemaligen Kommissars verweisen, die ich im Dezember 2012 besucht und für das SB-Webzine zusammengefasst habe.

Aber was lässt einen Menschen aggressiv werden? Ein sehr gewichtiger Grund ist die Angst vor Verlust, sei es von materiellen Werten, sozialem Status, Liebe, Sicherheit und auch einiger anderer Faktoren. Sehr beeindruckt war ich in diesem Zusammenhang auch von J. Wilflings Einschätzung des Falls aus dem Jahr 2011, bei dem ein Onkel seine zwei Nichten in Krailling grausam ermordet hat.

Der Verfasser ist im Laufe seiner Tätigkeit „zum Pragmatiker mit gesundem Menschenverstand geworden“. Und unter diesem Gesichtspunkt ist er den grundsätzlichen Fragen seines Berufsstandes nach dem Wer, Warum und Wodurch jeden Tag aufs Neue entgegengetreten; dies musste er auch in den von ihm zu bearbeitenden Morden an dem Schauspieler Walter Sedlmayr und dem Modedesigner Rudolf Moshammer. Genauer geht er auf diese spektakulären Fälle allerdings nicht ein, der Autor lässt sich aber über mangelnde Toleranz in Bezug auf die Todesumstände im ersteren Fall aus und erzählt, was die Untersuchungsmethode DNA mit dem Fall Moshammer zu tun hat.

Josef Wilfling ist eine Kapazität auf seinem Gebiet, und ich bin durch ihn auf so manches aufmerksam gemacht worden, habe viele interessante Stunden mit seinen Büchern verbracht und bin auch immer wieder unterhalten worden. Für mich können einschlägige Fernsehserien in New York, Miami etc. weiter gesendet werden; ich freue mich schon heute auf ein neues Buch (so vom Autor angekündigt) mit dem großen Erfahrungsschatz eines derart guten Schreibers, Insiders, der noch dazu fast vor der Haustür ermittelt hat.

Als weitere Vorab-Information kann ich verschiedene Interviews mit Josef Wilfling auf den Seiten des Heyne Verlags empfehlen), ferner gibt es ein Video, eine sehr kurze Vita und unter Termine viele Informationen zur Lesereise des Autors.

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Josef Wilfling: Abgründe – Wenn aus Menschen Mörder werden. Der legendäre Mordermittler deckt auf
Verl. Heyne, 1. März 2010
320 Seiten
€ 19,95 (gebundenes Buch)
€ 8,99 (Taschenbuch)
Heyne
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Quellenangaben des Zitats: S. 66.

Josef Wilfling: Unheil – Warum jeder zum Mörder werden kann
Verl. Heyne, 12. März 2012
304 Seiten
€ 19,95 (gebundenes Buch)
Heyne
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