marlantes_kmatterhorn_136644

They’re old enough to kill, but not for votin‘

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Vietnam, 1969: Der junge Leutnant Waino Mellas, keine 22 Jahre alt, kommt mit seiner Kompanie US-Marines in den Dschungel. Genauer: Auf einen Berg, den das Kommando Matterhorn getauft hat. Die Aufgabe seiner Einheit: Den Berg befestigen und feindliche Soldaten der Nordvietnamesischen Armee ausmachen und eliminieren. Mellas ist klug und ehrgeizig, er leistet seinen Militärdienst ab, weil es sich später gut im Lebenslauf machen wird. Doch schon nach wenigen Tagen im Busch, stets bedroht von einem Feind, der fast immer unsichtbar bleibt, wird ihm klar, dass es nicht ganz so einfach sein wird. Dann erhält die Bravo-Kompanie, der Mellas angehört, den Befehl, sich ins Flachland zu begeben und dort die Nachschublinien der NVA auszumachen. Das Matterhorn wird aufgegeben, eine große militärische Operation beansprucht die Artillerie, die dort stationiert ist.Nachdem sie tagelang durch den Dschungel gepirscht sind, Hinterhalte der NVA überlebten, sich unter widrigsten klimatischen Bedingungen durchgekämpft haben, erhalten die Marines einen neuen Befehl: Die Vietnamesen haben sich auf dem Matterhorn eingenistet, in den Stellungen, die die Marines kurz zuvor selbst angelegt haben. Alles deutet darauf hin, dass die NVA eine Großoffensive plant – und Mellas‘ Männer sollen nun, am Rande der absoluten Erschöpfung, das Matterhorn zurückerobern … Matterhorn ist harter Tobak. Obige Inhaltszusammenfassung liest sich eigentlich schön einfach: Die US-Marines erledigen jeden Job, egal, wie schlimm es wird, und die Vietnamesen sind die Feinde, die es plattzumachen gilt. So einfach macht es Karl Marlantes, selbst hochdekorierter Vietnam-Veteran inklusive posttraumatischem Stresssyndrom, seinen Lesern allerdings nicht: Die NVA bleibt, von wenigen Szenen abgesehen, ein unsichtbarer Feind, der die jungen, verängstigten, dreckigen, erschöpften Männer, aus denen die Kompanie besteht, permanent bedroht, ihnen Angst einjagt, sie zermürbt, indem sie aus der Entfernung mit Mörsern auf das Matterhorn schießen. Als der Protagonist Mellas dann tatsächlich von Angesicht zu Angesicht gegen die Vietnamesen kämpfen muss, fallen sicherlich auch kurz Gedanken wie „Ist das nicht Mord?“ und „Die sind so jung wie wir und haben genauso viel Angst wie wir“, aber diese Überlegungen halten sich in Grenzen – zu schnell stumpft der junge Mensch angesichts des Horrors, der ihn umgibt, ab. Die gefallenen Kameraden, die Ungewissheit, ob man nicht selbst versehentlich für ihren Tod verantwortlich ist, diese Ereignisse sind es, die die tiefsinnigeren Gedanken in Mellas auslösen.Zugleich ist eines der zentralen Themen in Matterhorn der Konflikt zwischen weißen und schwarzen Marines. Einerseits gilt: Im Busch gibt es nur eine Farbe: Grün! Andererseits wird immer wieder deutlich, dass genau das nicht zutrifft. Die Schwarzen radikalisieren sich zunehmend, bilden innerhalb des Marine Corps Gruppen, die versuchen, die Black Panther durch Waffen- und Drogenlieferungen zu unterstützen. Die Weißen machen ihnen die Isolation leicht, und so brennt ein unterschwelliges Feuer, das nur hin und wieder durch die NVA gelöscht werden kann. Insbesondere zwischen dem Gunnery Sergeant Cassidy und den schwarzen MG-Schützen der Einheit droht die Situation immer wieder zu eskalieren, und so etwas wie Freundschaft scheint nur dann möglich, wenn man zusammen verängstigt bei Nacht in einem Schützenloch kauert, während um einen herum Mörsergranaten detonieren. Eine andere Lösung, das macht auch das Ende des Romans beeindruckend deutlich, gibt es nicht.

Tiger, Tiger, burning bright …

Auch der zermürbende Dschungelkrieg wird überaus eindringlich geschildert, und nicht nur das unwegsame Gelände ist problematisch, auch die Fauna hält ihre Tücken bereit, etwa, wenn einer der Soldaten auf Nachtwache von einem Tiger gefressen wird. Und inmitten dieser ganzen fast schon irreal anmutenden Situationen eine Gruppe junger Männer, die irgendwie versucht, menschlich zu bleiben, ihrer Angst Herr zu werden und in einem Krieg stirbt, den die meisten von ihnen nicht einmal im Ansatz begreifen. Und diese Frage stellt sich den Figuren in Matterhorn auch nie. Für sie zählt allein, dass sie irgendwie den Tag überleben. Und dann die kommende Nacht. Und den nächsten Tag. Und die Nacht … Wie auch der Rassenkonflikt finden alle Überlegungen in einem Mikrokosmos statt, der so radikal auf das einzelne Individuum reduziert ist, dass außerhalb nichts mehr existieren kann.
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Und genau diese absolute Reduktion hält Marlantes permanent aufrecht: Hier geht es nicht darum, sich mit der Geschichte des Vietnamkriegs, seinen Auswirkungen auf die Welt, die Bevölkerung, die Amerikaner, die Hippies oder sonst irgendwen auseinanderzusetzen. Hier geht es um einen Haufen junger Männer, von denen der Älteste gerade einmal 25 ist, die meisten von ihnen aus bildungsfernen Schichten, die, befallen von Dschungelfäule, mit irrwitziger Gewalt konfrontiert sind, die sie erleben, aber auch selbst ausleben. Es gibt keine moralische Botschaft – die Vietnamesen sind nicht besser als die Amerikaner, auch nicht schlechter, es ist schlicht der anonyme Feind, der an derselben Stelle wie der Dschungel und auch der Tiger rangiert. Alles in Vietnam ist Mellas feindlich gesinnt, da bilden die Menschen keine Ausnahme. Er versucht zwar immer wieder, diesen Stupor zu durchbrechen, strebt philosophisch-theologische Überlegungen an, landet dann aber bei dem Gedanken, dass es sich wohl um eine Art natürlichen Kreislauf des Lebens und Sterbens handeln müsse – jede andere Erklärung würde bewirken, dass er als Soldat nicht mehr funktioniert, und ihn daher sein Leben kosten.

Matterhorn ist keineswegs ein kritischer Vietnam-Roman, aber ebenso wenig macht Marlantes es seinen Lesern leicht. Es gibt keinen strahlenden Helden und keinen absolut bösartigen Feind. Es gibt nur eine Handvoll Teenager mit Waffen, und eines wird schnell klar: Diese Menschen kommen nicht mehr als diejenigen nach Hause, die sie einmal waren. Matterhorn ist ein unmittelbarer, unreflektierter Bericht von dem, was Krieg mit einem Menschen macht – und als solcher beeindruckend in seiner Schrecklichkeit.

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Karl Marlantes: Matterhorn
TB-Ausgabe 2013 / Heyne Hardcore
11,99 Euro
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