Spießig und unvergesslich

Bereits vor vielen Wochen, als ich die Karten kaufe, kriege ich nur noch Restplätze. Das Konzert wird ausverkauft sein, denke ich, denn die wenigen freien Plätze sollten in den kommenden Wochen bis zum Konzert auch noch an den Mann gebracht werden. Mit Entsetzen bekomme ich zwei Wochen vor dem Auftritt die Nachricht, dass dieser verlegt wurde, auf den 03.12.2013, einen Dienstagabend, der denkbar ungünstig ist, aber man kann ja alles irgendwie möglich machen. Drei Tage später erhalte ich durch den Veranstalter die erneute Nachricht, dass der Termin verlegt wurde – auf den ursprünglichen Samstag. Ein großes, imaginäres Fragezeichen steht über meinem Kopf, und so müssen Facebook und die Seite des Künstlers endgültig Klarheit schaffen.
Die Antwort folgt prompt und öffentlich: Das Team des Stars weiß nichts von einer Verlegung und kann sich die Fehlinformationen nicht erklären. Damit ist also alles geregelt.Am Samstag habe ich bereits beim Betreten des Foyers das Gefühl, der Spießigkeit die ausgestreckte, behandschuhte Hand zu reichen. Es fehlt nur noch die Abendgarderobe des wartenden Publikums, das sein Weinchen an den Stehtischen trinkt. Die Stadthalle Erding wirkt recht neu, mit stolzer Holzdecke und einigermaßen modernem Schnitt. Nein, man darf den Saal nicht betreten und auch sonst nicht so viel machen, wird beobachtet, da man nicht nur altersmäßig ein wenig heraussticht. 30 Minuten vor Beginn ertönen ein Gong und eine Durchsage, man habe seine Garderobe abzugeben – im Keller – für einen Unkostenbeitrag von einem Euro. Anscheinend muss die Stadthalle erst noch abbezahlt werden. Immerhin ist die Kellnerin hinter dem edlen Tresen sehr nett – ihr Kollege am Eingang zum Saal bald nicht mehr.Der Saal ist leer, fast leer. Die ersten drei durchgehenden Reihen sind zwar voll besetzt, danach wird es aber spärlicher, und von einer ausverkauften Halle kann nicht die Rede sein. Liegt das am Termin-Hick-Hack, schließlich war beim Kartenkauf fast alles voll?

Das Konzert beginnt. Unter Jubel kommen die Musiker auf die Bühne, winken kurz ins Publikum und nehmen ihre Plätze ein, ebenso der Star des Abends, Albert Hammond, der lächelnd und mit seiner Gitarre vor der Brust ans Mikro tritt und sofort mit einem Hit loslegt: „Everything I want to do“.

Man kann sich fragen, ob es an diesem Abend überhaupt Songs geben wird, die keine Hits waren, immerhin hat Hammond nicht nur eigene Top-40-Kracher geschrieben, sondern auch für und mit anderen Charterfolge kreiert. Da wären Johnny Cash, Hal David, Whitney Houston, Tina Turner und so weiter.
Hammond erzählt, dass die Stadthalle gesagt hätte, er wäre der größte Star, den sie bisher hier gehabt hätten – und er mag das! Das Publikum lacht mit seinen Scherzen und nimmt seine gute Laune auf. Sein Lachen überträgt sich, seine Songs wecken längst vergrabene Erinnerungen, als die meisten der Anwesenden noch sehr jung waren und gerade ihre wilde Zeit hatten. „Down by the River“, „Rebecca“ – ein Song für ein wunderschönes Mädchen aus der Playboy-Villa -, „Freedom come, Freedom go“, „Don’t turn around“ – wurde unter anderem von Ace of Base erfolgreich performt -, „99 Miles from L.A.“ …Unermüdlich singt Hammond seine Songs, begeistert, reißt mit und hat sichtlich Spaß. Dabei bekommt man nicht das Gefühl eines Konzertsaals, sondern eher eines Privatkonzerts im Wohnzimmer. Es ist familiär und vertraut, als sei man unter Freunden. Die Band ist gut, weiß genau, was sie tut und wann sie ihre kraftvollen Einsätze hat. Eine gute Harmonie, der man auch jeden kleinsten Fehler verzeihen kann.Getrübt wird die gute Stimmung von einem Saalordner, der an diesem Abend meint, seinen eigenen großen Auftritt zu haben. Dass er den Besucher mit der Profi-Kamera zurückpfeift, mag noch okay sein, dass er aber zu jedem, der ein schüchternes Fotos mit der Handykamera macht, geht und dort ebenfalls seine Verbote loswerden muss, nervt. Dass das Fotografieren als Erinnerungen an einen tollen Abend verboten ist, steht angeblich vor dem Saal – das Schild konnte ich bei meiner Suche danach nicht entdecken. Es ist schade, aber vielleicht noch hinnehmbar, würde der Ordner nicht auch bei sichtbar normaler Handybenutzung eiligen Schrittes durch die Reihen gestapft kommen und mehr als unfreundlichen raunen: „Das ist hier nicht gestattet!“ Die lautlose Benutzung des Handys ist definitiv nicht verboten, das lasse ich mir nicht erzählen. Aber die Laune sinkt immens, denn durch sein Hin- und Hergerenne und das Anranzen verliere ich wirklich die Lust am Konzert und kann mich kaum mehr darauf konzentrieren.

Dafür zieht Hammond weiter eine hervorragende Show auf der Bühne ab, erntet gebührenden Applaus und Jubel, ebenso lässt er das Publikum nur zu gerne mitsingen, klatschen und tanzen. Albert Hammond bedankt sich bei seinen Fans, weil die es sind, die ihn gehört haben, denen er seine Erfolge verdankt. Ohne das Publikum wäre er nichts. Ein Star, der das noch offen zu schätzen weiß und sich selbst dankbar und bescheiden gibt – so jemanden muss man ins Herz schließen. Mittendrin fragt er sogar nach Musikwünschen und erfüllt diese aus dem Stegreif. Welcher Künstler macht schon so etwas?

Nach zwei Stunden ohne Pause gibt es die erste Zugabe, das Publikum erhebt sich und geht weiter nach vorne. Nun wird fotografiert, sogar mit Blitz, was mich persönlich sehr stört, denn sowas ist ein No-Go bei Konzerten. Aber den Ordner interessiert das seltsamerweise gar nicht mehr. Ob ein beschwerender Facebook-Post dazu geführt hat oder er plötzlich der Ansicht ist, dass Fotos doch nicht so tragisch sind – bei einem Konzert, für das es keine Akkreditierungen und somit auch nahezu keine Presse gab – weiß man nicht.

Mit dem Megahit „It never rains in Southern California“ endet nach fast zweieinhalb Stunden ein tolles und mitreißendes Konzert. Albert Hammond nimmt sich noch für jeden Fan genug Zeit, lächelt in Kameras, signiert Eintrittskarten, Schallplatten sowie Fotos und hält hier und da einen kurzen Plausch. Da ist dann auch ein weiterer Security mit In-Ear schnell vergessen, bei dem nur noch die Worte fehlten: „Der Adler ist gelandet!“

Fazit: Hammond war wieder einmal top in Form und hat ein ausdauerndes und mitreißendes Konzert gespielt. 2014 wird er mit seinen größten Hits ein Live-Album veröffentlichen. Die Location war allerdings eine herbe Enttäuschung, der man lediglich die Akustik zugutehalten kann – und die leider einen sehr negativen Eindruck hinterlassen hat, sodass dieser Abend nur vier Mosher bekommen kann.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch2:

Setlist (wurde in anderer Reihenfolge gespielt):
Everything I want to do
Down by the River
I don’t wanna live without you
Rebecca
Careless Heart
Snows of New York
Little Arrows
Freedom come, Freedom go
Good Morning Freedom
Gimme dat Ding
Don’t turn around
Give a little Love
Praise the Lord
New York City here I come
Smokey Factory Blues
I don’t wanna die in an Airplane
The Peace Maker
Anyone here in the Audience
Dream
99 Miles from L.A.
To all the Girls I love
I don’t wanna lose you
When you tell me
One Moment in time

Encore I
Nothing’s gonna stop us now
I’m a Train
The Free Electric Band

Encore II
It never rains in Southern California
The Air that I breathe
When I need you

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