Unter dem Schleier der Nacht

Nocte Obducta in München? Aber sicher muss ich da hin! Und dann auch noch im Rahmen eines kleinen, aber extrem feinen Festivals? Ist sowas von gebucht!

Los ging die wilde Jagd schon um halb fünf am Nachmittag – „normale“ Menschen, wurde mir glaubhaft versichert, würden um diese Uhrzeit eigentlich noch schlafen. Umso besser, dass sich zumindest fünf gänzlich unnormale Menschen bereits eingefunden haben, um Renegade zu sehen, die pünktlich das Festival eröffneten.  So spielte das Quartett aus Fürstenfeldbruck seinen treibenden Black-Thrash-Oldschool-Death-Metal mehr vor den Fotografen als vor johlenden Gästen. Der Stimmung auf der Bühne tat das allerdings keinen Abbruch – 20 Minuten pure Spielfreude waren geboten. Der Sound ist eine gelungene Mischung, die ziemlich schnell in den Nacken geht und von der man sich hier selbst überzeugen kann. Ich bin gespannt auf das erste Album, Jungs! Und für alle, die Renegade verpasst haben: Schaut unbedingt auf deren Facebook-Profil; wenn die 2014 ebenso viele Live-Shows spielen wie Ende 2013, sollte es nicht lange dauern, bis sich euch die Gelegenheit bietet, das nachzuholen!

Band Nummer zwei spielte dann immerhin schon vor gut 20 Leuten: Abysmal aus Augsburg klingen genauso abgründig und tiefschwarz, wie der Name es vermuten lässt. Obwohl nicht jeder in der Band körperlich in Hochform zu sein schien (vor allem der Drummer nicht – was ihn nicht daran hinderte, am Ende noch mit einem wunderbaren Drumsolo zu zeigen, was er drauf hat), lieferte das Quartett eine recht überzeugende Leistung ab. Auch Abysmal glänzen durch sehr thrash-lastigen Death Metal, den in eine Schublade einzuordnen eher schwerfällt. 2012 haben die Augsburger ihren Erstling Between Black and White auf den Markt geworfen, der auch ziemlich gut angekommen ist und definitiv ein Reinhören lohnt. Keep thrashin‘, guys, wir sehen uns beim nächsten Mal!

Ein dunkles Jahrhundert

Erinnert ihr euch noch daran, was ich nach dem letzten Besuch eines Saeculum-Obscurum-Konzerts über die Band sagte? Ich schon (und Saeculum Obscurum auch, wie sich zeigte – mir wurde jedenfalls dringend angeraten, auf Raucherpausen während des Konzerts zu verzichten). Die gute Nachricht: Vergesst das alles wieder. Offenbar waren die Herren da einfach nur zur falschen Zeit mit dem falschen Mischer am falschen Ort im falschen Line-up, denn eigentlich klingen die ganz anders. Und zwar richtig gut! Ich jedenfalls habe mehrfach beide Augenbrauen hochziehen müssen, denn was die Jungs da abgeliefert haben, war eine extrem kurzweilige Show, die gewohnt schweigsam, aber mit viel Spielfreude dem noch etwas zurückhaltenden (und zahlenmäßig noch unterlegenen) Publikum präsentiert wurde. Als „hochdosiertes Schlafmittel“ ließ sich das jedenfalls nicht bezeichnen, auch wenn der Abend ebenso death-metal-lastig war wie beim letzten Auftritt. Chapeau, die Herren!

Danach stand eine Kapelle auf der Liste, die ich allein wegen des Namens unbedingt sehen wollte: Skrotum. „Death fuckin‘ Metal“ macht das Quartett aus Freising, und das groovt ziemlich. Musikalisch gibt es hier schon ordentlich auf die Fresse, allerdings ist der Sound alles andere als primitiv: Hört man da mal genauer hin, überraschen Skrotum den geneigten Hörer mit erstaunlich komplexen Songstrukturen. Sänger David, ein dürrer Bursche, der etwas linkisch wirkt, wenn er gerade nicht Gitarre spielen darf, mit komischer Frisur, ist jetzt rein optisch nicht unbedingt der Typ, dem man diese tiefen Growls zutraut, aber er lieferte ordentlich ab und sorgte dank geradezu valentinesker Ansagen („Servus, mia san oiwei no Skrotum – Prost erst amoi!“) bei mir für Dauergrinsen. Zu hören sind die Hodensäcke bislang nur auf einer Split-EP mit Rapture, aber das erste Album ist bereits in der Mache, und aufgrund der oben erwähnten Komplexität bin ich richtig gespannt drauf!

Have Fun! Now!

Als Rapture die Bühne enterten, war ordentlich was los im Feierwerk: Die Besucherzahl hatte sich vervielfacht, und der Sound der Münchner kam ziemlich gut an. Was erwartet man auch anderes von einer Kapelle, die sich selbst als Grind Pop Batallion bezeichnet und ihre letzte Platte Epic Fails in Doom Minor betitelt hat? Richtig: Jede Menge Spaß, fetten Sound und dass es ordentlich scheppert im Karton. Und davon gab’s nicht zu knapp, was auch das Publikum dankte. Sehr umtriebig sind die Herren auch in Sachen Kooperationen mit anderen Bands wie etwa Skrotum oder My Cold Embrace, die das Vergnügen hatten, danach auf die Bühne zu kommen. Schnittmenge ist die Split-EP mit My Cold Embrace betitelt, die bei mir derzeit in Dauerschleife läuft, und natürlich ließen es sich beide Kapellen nicht nehmen, jeweils einen Song davon zum Besten zu geben; auch flitzte My Cold Embrace-Frontmann Dennis Hirth mal kurz über die Bühne und ließ seine Stimme hören. Ich jedenfalls kann Rapture wärmsten all denjenigen empfehlen, die amtlichen Death Metal mit einer Prise Humor suchen und finden wollen, die nicht „Everybodys Darling“ sind, aber über den letzten Urlaub singen können.

Wie nah sich die beiden Formationen nicht nur zwischenmenschlich, sondern auch musikalisch sind, zeigte sich nur wenig später, als die Feierwerk-Bühne My Cold Embrace allein gehörte. Den Preis für die weiteste Anreise können sie sich vermutlich mit dem Headliner teilen, denn My Cold Embrace kommen aus der Nähe von Kassel und hatten neben einer ordentlichen Portion Death Metal zum Mitsingen („Apollo“) auch zum ersten Mal ihren neuen Bassisten im Gepäck, der auch umgehend vom Verfasser dieser Zeilen zu einem Basssolo genötigt wurde. Abgeliefert hat er es – allerdings führte das nur zum lapidaren Kommentar „Was für ein langweiliges Instrument!“ seines Kollegen am Mikro. Wirklich getaugt hat mir persönlich vor allem der Song „Hausgeister“, der live richtig kesselt. Ich behalte My Cold Embrace definitiv im Auge – lasst euch mal wieder im Süden blicken!

Schlafende Münchner

Dead Alone hatten es dann wirklich nicht einfach, die scheinbar kaputtgemoshte Meute zu animieren. Sicher gab es da diejenigen, die ihre Nackenmuskulatur auch hier eifrig trainiert haben, aber, das zeigte sich besonders bei den oft furchtlos gebliebenen Versuchen seitens Gitarrist Martins, dem Publikum eine hochgereckte Faust zu entlocken, das todesmetallische Geschwader der letzten drei Stunden hatte einfach zu gründlich aufgeräumt. Oder erwies sich die Songstruktur als zu komplex? Dead Alone gaben jedenfalls alles und schreckten auch nicht davor zurück, ihre Oberkörper zu entblößen, was dem musikalischen Hochgenuss einen optischen zur Seite stellte. Allein, das Publikum reagierte größtenteils eher zögerlich und zurückhaltend, vereinzelt wurden im Moshpit Pizzen verspeist. Musikalisch bietet Dead Alone jedenfalls eine interessante und sehr eigenständige Mischung aus beinahe allem, was das Genre „Metal“ so zu bieten hat. Viel Thrash ist dabei, ebenso wie Doom und natürlich eine große Portion melodischer Death Metal. 2012 erschien ihr Album Ad Infinitum, das sich generell hören lassen kann.

Immer noch so sexy wie vor 20 Jahren

Die obligatorischen Dinge vorneweg: Natürlich gab es das ein oder andere technische Problem – vermutlich planen Nocte Obducta ihre Setlist entsprechend, wenn man den Konzertberichten Glauben schenken darf. Ob weitere Konzerte nach dem Totalausfall von Flanges Mini-Board durch den Verkauf von Wollmützen gerettet werden konnten, bleibt zu hoffen. Natürlich wurde „Und Pan spielt die Flöte“ nicht in voller Länge gespielt. Und natürlich war es ein unglaublich grandioses Konzert, und natürlich bin ich in alle Bandmitglieder gleichzeitig verliebt. Immer noch.
Zum Wesentlichen: Die Herren aus Mainz gaben eine ganze Reihe alter (Gassenhauer wie „November“), neuer (die Umbriel-Variationen und Gassenhauer wie „Niemals gelebt“) und ganz neuer Stücke (Gassenhauer wie „Der Song zu dem limitierten T-Shirt, für das wir ein Gedicht geschrieben haben, aus dem wir dann einen Song gemacht haben – das Shirt könnt ihr da hinten kaufen. Zum Glück hab ich da nochmal die Kurve gekriegt!“) zum Besten; eine Kombination, die mir zwei Tage Nackenschmerzen beschert hat. Was das restliche Publikum gemacht hat, wie voll es noch war oder ob alle nach dem anstrengenden Marathon schon ins Bettchen mussten, kann ich nicht sagen, weil ich zu beschäftigt damit war, die sechs Männer auf der Bühne anzustarren oder den Kopf rhythmisch auf und ab zu bewegen. Die anderthalb Reihen Menschen vor mir hatten jedenfalls ebenso viel Spaß wie ich an der Sache, und spätestens beim zweiten Song, „Der Durst in meinen Augen“, sollten eigentlich alle wieder wach gewesen sein. „Glückliche Kinder“, das Stück, das es vielleicht aufs nächste Nocte-Album schaffen wird, durfte ebenso wenig fehlen wie „Niemals gelebt“, das allerdings schneller zu Ende war als gedacht. Ich hatte ein bisschen gehofft, dass „El Chukks Taverne“ ebenfalls auf der Setliste stehen würde, aber leider wurde ich diesbezüglich … nun, enttäuscht kann man nicht sagen bei einem so wunderbaren Konzert. Dafür gab es erste Einblicke ins hoffentlich bald kommende neue Album. Das grandiose „Und Pan spielt die Flöte“ gab es dann doch, zusammen mit „November“, und bevor ich mich wieder elendslang über Verwandtschaftsverhältnisse gewisser Stücke auslassen kann (Stichwort hier sei auch „Anis“), spule ich lieber vor zu dem ebenfalls bereits auf dem Breeze dargebotenen Misfits-Cover „Braineaters“, das einfach für extrem gute Laune sorgt.

Als Zugabe gab es dann „Ein Lied über Geschlechtsverkehr“, das vielleicht seltsam anmute zu einer Zeit, zu der „die meisten in der Band Single sind“ – naja, „seltsam“ ist nicht die Vokabel meiner Wahl, wenn es um „Fick die Muse“ vom Album „Schwarzmetall – Ein primitives Zwischenstück“ geht, aber sei’s drum. Zum Nachdenken über derartige Marginalien blieb ohnehin wenig Zeit, denn, wie der Titel des Albums bereits vermuten lässt, wurde ich hier schnell und hart ins Hirn gefickt – so muss das!
Glücklich, schweißgebadet und mit grenzdebilem Grinsen endete ein grandioser Konzerttag im Feierwerk – bis zum nächsten Jahr!

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Bilder: The Doc

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