Geschundene Kinder

 

ani_fdie_unterirdische_sonne_143244Leon, Maren, Sophia, Eike sowie Conrad sind im Alter zwischen elf und sechzehn Jahren. Sie wurden nacheinander entführt, zum Teil schon vor einem Jahr, und in einem Keller hinter einer versperrten Eisentür gefangen gehalten. Die demütigenden Handlungen der Erwachsenen, von denen sie sich untereinander nichts erzählen dürfen, bleiben an den noch kindlichen Seelen natürlich nicht ohne Spuren. Jeder der Fünf reagiert anders auf die Situation, jeder der Fünf versucht mit den Quälereien der Unmenschen auf seine eigene Art fertig zu werden. Nach einer sich langsam aufbauenden Eskalation innerhalb dieser engen vier Wände zieht Noah in diese erzwungene Gemeinschaft ein. Im Keller verändert sich etwas.

Friedrich Ani sagt in einem Interview zu Die unterirdische Sonne, dass dies für ihn „eine Reise wie noch keine“ gewesen ist. Auch auf mich trifft dies zu. Eigentlich hätte mich der Klappentext abgeschreckt, wenn nicht der Autor zu verlockend gewesen wäre. Der Roman ist eine unbarmherzige Geschichte, wie sie auch im Hier und Heute stattfinden könnte: Entführte Jugendliche, deren bisherige Lebensgeschichten unterschiedlicher nicht sein könnten, herausgerissen aus ihrer gewohnt guten wie schlechten Umgebung, in das Reich ihrer Erinnerungen verwiesen und schließlich bis zur völligen Selbstaufgabe getrieben.
Aber auch hier beweist Ani mal wieder sein Erzählgeschick: Er deckt das (erzwungene) Miteinander der Kinder auf. Baut diese qualvolle Dichte in die Geschichte ein, zum Beispiel wenn abwechselnd mal der eine, mal der andere abgeholt wird, um in das Erdgeschoß gebracht zu werden. Die Lebensgeschichte der Einzelnen sowie deren Entführungen werden nicht ausgespart (wenn sie auch nicht chronologisch beschrieben werden), die Demütigungen angedeutet (allein dabei könnte ich die Wände hochgehen), und auch die auftretenden Reibereien innerhalb der Gruppe sind sehr gut beschrieben. Und dann glimmt Hoffnung für mich auf: Noah erscheint auf der Bildfläche, ob zum Guten oder Schlechten wird hier natürlich nicht verraten. Überrascht bin ich über die folgenden unterschiedlichen Märchen der Verzweifelten, die vom Autor gut und interessant gesponnen sind.

Eine Empfehlung für dieses Buch auszusprechen, fällt mir nicht schwer. Es ist kein leichter Stoff, er kann einen auch schon mal den Tag über beschäftigen. Aber nicht minder sind das Verfolgen der Leidensgeschichte, das Hoffen und Bangen, sowie die überraschenden Wendungen es wert gelesen zu werden.

 

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Friedrich Ani: Die unterirdische Sonne (ab 16 Jahren)
cbt Verlag, 24.02.2014
336 Seiten

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