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Was aus den Menschen wurde

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Hin und wieder stolpert man eher zufällig über ein Buch – und ist sofort fasziniert: Der Comic Das Imperium des Atoms erregte meine Aufmerksamkeit, weil A. E. van Vogt einen Roman gleichen Titels geschrieben hat (Originaltitel: Empire of the Atom, 1965; deutsche Ausgabe: Das Erbe des Atoms). Als eine kurze Recherche dann ergab, dass dieser Comic sich mit Leben und Werk des amerikanischen Science-Fiction-Autors Cordwainer Smith befasst, war klar: Dieser Titel ist ein Must-Read!

Cordwainer Smith ist das Pseudonym von Paul Linebarger, dessen Biografie eine der beeindruckendsten in der SF ist: 1913 in den USA geboren, wuchs er in China, Japan, Frankreich und Deutschland auf, da sein Vater, ein pensionierter Richter, dort beruflich zu tun hatte. Sein Patenonkel ist Sun Yat-sen, der erste Präsident der Volksrepublik China. Linebarger promovierte in Politikwissenschaften, arbeitete überall auf der Welt für den Geheimdienst der US-Armee und später für die CIA, beriet die amerikanischen Truppen in Korea und im Zweiten Weltkrieg, später gehörte er dem Beraterstab von Präsident Kennedy an und schrieb ein Buch über Psychologische Kriegsführung, das bis heute als Standardwerk gilt. Er sprach sechs Sprachen und war mit den verschiedensten Kulturen vertraut – und er schrieb unter einem Pseudonym, das erst nach seinem Tod 1966 gelüftet wurde, eine grandiose Future History über die sogenannte „Instrumentalität des Menschen“ (in Deutschland in chronologischer Reihenfolge zusammengefasst in Was aus den Menschen wurde). Außerdem gab es (unbestätigte) Spekulationen, dass er Patient des Psychologen Robert M. Lindner gewesen sei, der 1954 eine Fallstudie über seinen Patienten Kirk Allen veröffentlichte („Die raketenbetriebene Couch“), in dessen Fantasien über ein galaktisches Reich, das mit ihm in telepathischen Kontakt stehe, viele Cordwainer Smiths Geschichte der Zukunft wiedererkannt haben wollten.

So weit, so bekannt. Das Imperium des Atoms erzählt all diese Geschichten – die von Paul Linebarger, die Cordwainer Smiths und die Kirk Allens – und vermischt sie mit sehr viel Fantasie zu einem großen, zusammenhängenden Bild. Das geschieht nicht linear: Immer wieder gibt es Zeitsprünge, wechselt die Erzählung zwischen dem Amerika der Fünfziger- und Sechzigerjahre und der fernen Zukunft, in dem ein gigantisches Imperium mit unbarmherziger Güte das Schicksal der Menschen bestimmt – und dessen Herrscher Zarth Arn durch die Zeit hindurch Kontakt mit Paul aufnimmt. Das wiederum beeinträchtigt sein ganzes Leben und führt soweit, dass er erst zum Psychiater muss, später dann den dubiosen Wissenschaftler Dr. Zelbub kennenlernt, der gedenkt, sich Pauls übersinnlicher Fähigkeiten zu bedienen. Gezeichnet ist das Ganze mit hellen Farben im, sagen wir: naiven Stil der 50er, alles ziemlich retro, was sich optimal darstellt und sehr viel Stimmung transportiert. Beim Lesen bietet es sich unbedingt an, auch einmal einen Blick in die SF von Cordwainer Smith zu werfen: Damit erschließen sich neue Zusammenhänge in einer grandiosen Comic-Geschichte, die jedoch auch ohne den literarischen Hintergrund sehr gut funktioniert. Unbedingt einlassen können muss man sich auf die nicht-chronologische Erzählweise, um Das Imperium des Atoms zu genießen.

 

Alles in allem ist Das Imperium des Atoms ein wundervoller und sehr schön aufgemachter Comic, der sich vor einer goldenen Zeit des Aufbruchs (nicht nur in der Science Fiction) sehr stilvoll verbeugt.

 

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Thierry Smolderen, geboren 1954 in Brüssel, verfasste Sekundärliteratur u.a. über Hergé und schrieb die Szenarios für mehr als 30 Alben, darunter die Serie GIPSY für Enrico Marini. Seit 2010 hat er eine Professur an der Kunsthochschule in Angoulême.
Alexandre Clérisse, geboren 1980, gehörte schon als Jugendlicher einer Gruppe an, die zusammen Comics und Musik machte. Zunächst studierte er jedoch Kommunikationsdesign, bevor er in Angoulême einen weiteren Abschluss im Bereich Comic machte.

Thierry Smolderen (Text) und Alexandre Clérisse (Bilder): Das Imperium des Atoms.
142 Seiten, Carlsen (VÖ: 18.3.2014)
€ 22,90
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Mehr über Cordwainer Smith auf www.cordwainer-smith.com
Paul Linebargers Werke im Projekt Gutenberg (englisch)

Quelle Autoren-Foto Cordwainer Smith: Wikipedia

Quelle Seite aus Das Imperium des Atoms: N-tv.de

 

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