Du loderst hoch und leugnest Asche

Ah, Dornenreich! Unvergessene Konzertabende verbinde ich mit dieser Band, die meisten davon aus einer Zeit, als es noch bitter war, dem Tod zu dienen und Jochen Stock zum ersten Mal fragte, was denn da von welken Nächten her zöge. Freiheit heißt das neueste Album der Österreicher, und auf der Suche nach selbiger feiern sich Dornenreich mit einer Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Mit an Bord sind Heretoir und Wassermanns Fiebertraum; letztere eröffnen in München den Abend.

Wassermanns Fiebertraum ist ein deutsch-österreichisches Musikprojekt, das von einem Visualisten optisch unterstützt wird. Zusammengefunden hat das Quintett 2011; zuletzt erschien ihre zweite CD Tauche die Welt in Farben, ein Konzeptalbum über einen kleinen Jungen mit lebhaften Träumen. Ähnlich unwirklich erscheint die Show der Wassermänner: Kaum Gesang (ursprünglich war Wassermanns Fiebertraum als reines Akustik-Projekt geplant), dafür schier endlose Klangwelten, dominiert von psychedelischen Gitarren und visuell unterstützt von Video-Kompositionen zu den Songs (was mich ein Stück weit an Ulver erinnert, wenn auch Wassermanns Fiebertraum noch nicht ganz so entrückt wirken). Die fünf Herren erzeugen mit Titeln wie „Jetzt oder nie“ und „Fähre“ eine unwirkliche Atmosphäre, die bei den Besuchern an diesem Abend gut ankommt, denn durchweg wird genickt im Publikum. Nicht unbedingt die Musik, die ich erwartet hatte, und sicherlich auch etwas, das man sich zu Hause in Ruhe noch einmal anhören sollte.

Auf Heretoir aus Augsburg (und der mehr oder weniger weit gefassten Umgebung) war ich ziemlich gespannt, immerhin hatte ich das Nebenprojekt des Herrn Eklatanz (u.a. Agrypnie), das derzeit an Album Nummer zwei tüftelt, schon eine Weile im Auge. Live unterstützt wurde das Duo an diesem Abend von Unhold Torsten am Bass und den Background-Vocals; damit habe ich ihn, nach Nocte Obducta und Agrypnie, in diesem Jahr öfter gesehen als meine Mutter. Vor allem wollte ich mir ansehen, wie die Songs live kommen, denn bisher wusste ich, ehrlich gesagt, nicht hundertprozentig etwas damit anzufangen und schwanke bei jedem Hören des Erstlings Heretoir aus dem Jahre 2011 zwischen Wohlgefallen und WTF? Abgemischt wurden die Herren jedenfalls brutal basslastig, was auch bei Wassermanns Fiebertraum bereits der Fall war und dafür sorgte, dass mir die Füllungen in den Backenzähnen schmerzhaft vibrierten. Schlimmer war allerdings, dass Sänger David streckenweise schlecht zu hören war. Musikalisch bieten Heretoir sehr stimmungsvollen Post-Black-Shoegaze-Rock-Metal – das Wortungetüm ist dabei so sperrig wie der komplexe Sound selbst, der sich konsequent jeder Schublade verweigert. Zum Nachhören: Heretoir haben auf ihrer Facebook-Seite einige Live-Aufnahmen gepostet – bevor ich mich also weiter syntaktisch verrenken muss, hört einfach selbst rein! Für mich der interessanteste Song der ganzen Setlist war, neben dem grandiosen Austere-Cover „Just for a Moment“, mit dem das Konzert auch viel zu früh endete, vor allem die Ausblicke aufs kommende Album: „Eclipse“ und vor allem „Inhale“, das schnellste Stück an diesem Abend, haben mich mehr überzeugt als die älteren Stücke, bei denen ich auch live (rein persönliche) Probleme hatte. Insgesamt habe ich viel Positives aus diesem Gig mitgenommen, nicht zuletzt die Vorfreude auf das, was man von Heretoir noch hören wird!

Zu Dornenreich  habe ich, wie eingangs angedeutet, eine doch recht innige Beziehung kultiviert über all die Jahre, auch wenn ich hier sehr an den älteren Alben hänge, die dann doch so ganz anders sind als Freiheit. Trotzdem: die Verwandtschaft lässt sich nicht verleugnen. Dementsprechend präsentierten die Herren Stock (Gitarre/Gesang) und Riesner (Geige) zuerst ein rein akustisches Set, das nach dem Intro direkt mit „Freitanz“ vom 2008er-Album In Luft geritzt einsetzte. Die erste Nummer aus Freiheit bekam München mit „Im Ersten aller Spiele“ zu hören, das mich sofort abgeholt hat – tolle Komposition, sehr stimmungsvoll mit dem klassischen Dornenreich-Flüstern ins Mikro, immer wieder erstarkenden Geigen – einfach schön! „Des Meeres Atem“, auch ein Stück vom neuen Album, und das thematisch verwandte Akustikstück „Meer“ (wiederum von In Luft geritzt) rundeten die knappe halbe Stunde Akustikgig ab. Die Akustikgitarre wurde gegen das elektrische Modell getauscht, Drummer Moritz Neuner setzte sich ans Schlagzeug, und weiter ging’s direkt mit „Flammenmensch“, dem ersten Stück vom 2011er-Album Flammentriebe – und hier gab’s gleich noch ein Wiedersehen mit dem Unhold, der die erste Strophe als Gastsänger mitsang. „Jagd“ und „Der Hexe flammend‘ Blick“ sogen die eher spärlichen Besucher im Backstage an diesem Abend dann endgültig in den Dornenreich-Kosmos, der aus kompositorisch total verrückten Songs besteht, die man mehr fühlen als hören muss. „Aus Mut gewirkt“ bewies eindrucksvoll, dass Freiheit mehr bietet als rein akustische Musik; eine Erfahrung, die nach dem grandiosen „Wolfpuls“ mit „Traumestraum“ gleich nochmal gemacht wird. Und dann – endlich: „Schwarz schaut tiefsten Lichterglanz“! Weiter zurück als bis zur Her von welken Nächten gingen Dornenreich an diesem Abend allerdings nicht, was ich persönlich sehr schade finde, dem Konzert allerdings keinen Abbruch tat. Als Zugabe reichten uns die Tiroler dann das vom Publikum geforderte „Erst deine Träne löscht den Brand“ und die „Trauerbrandung“ – und zu meinem Entzücken dann auch eines meiner Lieblingslieder, „Wer hat Angst vor Einsamkeit?“, ein Stück, das ich immer wieder großartig finde und das mich mitnimmt in eine ganz andere Zeit.

Drei Bands an einem Abend, die musikalisch vielschichtiger nicht sein könnten und die vom Zuschauer die gesamte Aufmerksamkeit fordern – tolles Line-up, tolles Konzert, toller Abend!

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist Dornenreich:
Teil 1:
1. Intro
2. Freitanz
3. Im Ersten aller Spiele
4. Des Meeres Atem
5. Meer
Teil 2:
6. Flammenmensch
7. Jagd
8. Der Hexe flammend‘ Blick
9. Aus Mut gewirkt
10. Wolfpuls
11. Traumestraum
12. Schwarz schaut tiefsten Lichterglanz
Zugabe:
13. Erst deine Träne löscht den Brand
14. Trauerbrandung
15. Wer hat Angst vor Einsamkeit?

Bilder: TheDoc – mehr Fotos gibt es hier!

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